Werner Führer
Reformation ist Umkehr
Rechtfertigung, Kirche und Amt in der Reformation und heute – Impulse aus kritischer Gegenüberstellung
Vandenhoeck & Ruprecht 2016
(ISBN 978-3-7887-3103-8), 124 S., 17,- €
Dies ist ein radikales Buch. Radikal, weil es – auf umfangreicher Quellenkenntnis basierend – auf die Wurzeln der Theologie Luthers zurückgeht, radikal aber auch, weil es heutige kirchliche Verlautbarungen einer radikalen Kritik unterzieht. Im Blick steht neben dem noch einmal diskutierten Impulspapier der EKD (Kirche der Freiheit. Perspektiven für die evangelische Kirche im 21. Jahrhundert, Hannover 2006) vor allem der Grundlagentext: Rechtfertigung und Freiheit. 500 Jahre Reformation 2017. Ein Grundlagentext des Rates der EKD, Gütersloh 2014.
Der kritische Vergleich beginnt schon mit dem ersten Kapitel: „Was heißt Reformation?“ Führer: „Reformation heißt also nicht: Reformen auf Gott zurückführen, um sie durch religiöse Überhöhung zu legitimieren und ihnen Glanz und Dauer zu verleihen.“ „… vielmehr gibt man Gottes Wort Raum und lässt es >handeln<“ (10). „Die Kirche reformieren heißt …: sie ausschließlich auf den Grund stellen, der Bestand hat, also sie auf die Wahrheit gründen. Der Grund der Kirche aber ist Jesus Christus“ (1. Kor 3,11). (13) Solch kritische Gegenüberstellungen setzen sich dann fort im Blick auf die Rechtfertigungslehre („Die Rechtfertigung des Gottlosen“), die Lehre von der Kirche („Das reformatorische Verständnis der Kirche“), die Ämterlehre („Reformatorischer Aufbruch und kirchliches Amt“).
Den grundlegenden Schaden, der in all diesen Themenbereichen zu falschen Weichenstellungen geführt hat, sieht Führer darin, dass das „sola scriptura“ nicht mehr gilt. Zitate aus der Bibel werden eingestreut, um das zu belegen, was die Autoren – dem Trend der Zeit folgend – als Botschaft vermitteln wollen. Doch die kritische Kraft der Schrift geht verloren. „Durch die Anwendung der Formel sola scriptura als Exklusivpartikel haben die Reformatoren die kritische Kraft entbunden, die in der Schrift enthalten ist, und ihre Ausschließlichkeit und Suffizienz in allen heilsrelevanten Fragen durch die Kritik an kirchlichen Traditionen und Institutionen zur Geltung gebracht“ (61f). Das hat sich inzwischen geändert. „An die Stelle der gewissheitsstiftenden Selbstauslegung ist im Neuprotestantismus die unverbindliche und moralisierende Auslegung getreten“ (106).
Als Beispiel seien hier Führers Darlegungen über die Rechtfertigung des Gottlosen herausgestellt. Die Rechtfertigungslehre Luthers ist zu leicht befunden, sie wird nur noch als Harmlosigkeit kolportiert, wenn man sie auf die liebende Annahme des Menschen durch einen gütigen Gott reduziert und nicht mehr ihre andere Seite gelten lässt: dass nämlich der seiner selbst gewisse Mensch im Rechtfertigungsgeschehen in eine tödliche Krise gestürzt wird. „Der Glaube, der zur Rechtfertigung führt, wirkt sich immer in doppelter Weise aus: >im Ergreifen der Wirklichkeit Gottes und im gleichzeitigen Zerstören der Verfälschung dieser Wirklichkeit in uns … Denn Gottes Offenbarung trifft den Menschen nicht leer an, wir … sind erfüllt mit allerlei religiösen Vorstellungen und Gedanken, die abgebaut werden müssen, wenn Raum geschaffen werden soll für die wahre Erkenntnis Gottes<“ (Zitat von H.J. Iwand bei Führer, 49). „In der Abwendung von allem, was nicht Gott ist, und der Umkehr allein zu Gott ist die Ursprungssituation der Rechtfertigung zu sehen … Gott spricht schuldig und vergibt; er >tötet und macht lebendig< (1. Sam 2,6)“ (51). So ist es also „eine Verfälschung der Rechtfertigungslehre, wenn man ihr unterstellt, sie lehre, der Gottlose als solcher sei Gott recht …“ (58).
Auch das Kapitel über das kirchliche Amt hat es in sich. Führer weist nach, dass nach biblischer Sicht (hier folgt er dem Neutestamentler Otfried Hofius) wie auch nach der Sicht Luthers das grundlegende Amt der Kirche, nämlich das Verkündigungsamt, von Gott gestiftet ist und nicht aus dem Priestertum aller Glaubenden und Getauften abgeleitet werden kann, wie es gängiger heutiger Lehre entspricht. Der Pastor und die Pastorin stehen in ihrem Verkündigungsamt der Gemeinde gegenüber. „In der Ausschließlichkeit der Bindung an das Evangelium, in der das Schriftprinzip zum Ausdruck kommt, gründet die Legitimität des Amtes, aber auch seine Freiheit und Unabhängigkeit von jeder Autorität, die nicht auf göttlichem Recht beruht“ (91). Weder kommt dem Amt eine Priorität vor der Kirche zu, noch kann es ihr – als angeblich von der Gemeinschaft der Glaubenden abzuleiten – unterstellt werden. Beide, die Kirche als das Priestertum aller Gläubigen und das von Gott gestiftete Verkündigungsamt, sind gleich ursprünglich. Sie stehen beide „in einer Ursprungsrelation zu Christus“. Daher „ist jeder Prioritätenstreit zwischen beiden unsachgerecht“ (93).
Das Buch „Reformation ist Umkehr“ ist keine einfache Lektüre. Und nicht alle Leser werden allen kritischen Gedankengängen dieses Buches folgen wollen. Doch die grundlegenden Fragen Werner Führers an eine heute weithin geltende „Kirchentheologie“ sind zu hören.
Gisela Kittel
Deutsches Pfarrerblatt 2/2017, S. 121